Abschied von Florian Weissteiner – dem Vorletzten der „Pfunderer Buam“

Ruhe in Frieden Gott Segne Dich.

Am 10. April 2023 verstarb Florian Weissteiner in Obervintl im Pustertal im Alter von 86 Jahren. Er war der vorletzte noch Lebende der sieben „Pfunderer Buam“, die 1956 verhaftet, schwer misshandelt und 1957 und 1958 einem unglaublichen Justizverfahren unterworfen worden waren.Der Zorn lässt auch heute nicht Ruhen,was diesen Menschen angetan wurde.

Roland Lang, der Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), drückte in einem Schreiben der Familie sein Mitgefühl aus und veröffentlichte dann eine Dokumentation, die nachstehend wiedergegeben ist.

Dokumentation:

Politische Justiz im Nachkriegs-Italien – Was Florian Weissteiner und seine Freunde erleiden mussten

In der Nacht des 15. August 1956 waren 7 junge Bauernburschen in Pfunders, einem kleinen Gebirgsort in einem Seitental des Pustertals, vor einer Arbeiterkantine in eine Rauferei mit zwei italienischen Finanzern geraten, die wie sie vorher ausgiebig in der Kantine gezecht hatten. Einer der Finanzer, der schwer alkoholisierte Raimondo Falqui, war davon gerannt und in der Dunkelheit von einer Brücke ohne Geländer 3 Meter tief in den ausgetrockneten und mit Felsbrocken ausgestatteten Roanerbach gestürzt.

Von dieser Brücke ohne Geländer war der schwer alkoholisierte Raimondo Falqui in den ausgetrockneten Roanerbach gestürzt. (Bild aus der Illustrierten „DER STERN“.)
Von dieser Brücke ohne Geländer war der schwer alkoholisierte Raimondo Falqui in den ausgetrockneten Roanerbach gestürzt. (Bild aus der Illustrierten „DER STERN“.)

Bei seinem Sturz hatte sich Falqui offensichtlich an einem Stein die Stirne eingeschlagen. Die spätere Untersuchung ergab, dass Falqui 1,7 Promille Alkohol im Blut gehabt hatte, also schwer betrunken gewesen war.

Zeitgeschichte

Zwei Welschtiroler Historiker und Erfolgsautoren, Maximilian Unterrichter und Carlo Simeoni, und der zu den besten Kennern der Südtiroler Zeitgeschichte zählende Buchautor Günther Rauch, besuchten vorgestern in Begleitung des Obmannes des Südtiroler Heimatbundes (SHB), Roland Land, die Ausstellung BAS- Opfer für die Freiheit in Bozen.

Roland Lang erklärte fachkundig den Kampf der Südtiroler Freiheitskämpfer in den 60iger Jahren für die Eigenständigkeit und Rechte der Südtiroler. Das Opfer der Südtiroler Aktivisten war nicht umsonst, wie der ehemalige italienische Ministerpräsident und EU- Kommissionspräsident Romano Prodi im September 2021 bei der Feier anlässlich 75 Jahre Gruber- De- Gasperi- Abkommen in Bozen bestätigte. „Die Bombenanschläge haben klar gemacht, dass es so nicht weitergeht. Sie haben Angst verbreitet auf einer konstruktiven Ebene“ so der ehemalige Ministerpräsident.

Die vor der Kantine Zurückgebliebenen hatten Falquis Sturz nicht mitbekommen und gingen ebenso wie dessen Kollege nach Hause und schliefen ihren Rausch aus. Am nächsten Tag wurden die 7 Burschen als „Mörder“ verhaftet. Bereits die Ermittlungen wurden so geführt, dass sie eine Mordanklage stützen sollten.

Die Voruntersuchung wurde durch keine Mordkommission durchgeführt, sondern nur durch einfache Carabinieri.

* Es wurden keine Spuren am „Tatort“ erhoben und dadurch auch der Stein, an dem sich Falqui bei seinem Sturz mutmaßlich den Schädel eingeschlagen hatte, nicht als Beweismittel gesucht und gesichert.

* Die Leiche wurde ohne jede Spurensicherung abtransportiert und es wurde nicht einmal der Fundort dokumentiert.

* Dadurch konnten später widersprüchliche Angaben über die Fundstelle der Leiche nicht abgeklärt werden.

* Der Gemeindearzt von Rasen-Olang, Dr. Karl Kofler, welcher den eingetretenen Tod des Falqui feststellte und als Erster dessen mutmaßlich durch den Sturz in das Geröll des Bachbetts verursachte Kopfverletzung sah, wurde trotz Antrags der Verteidigung in beiden Instanzen nicht als Zeuge vor Gericht zugelassen und nicht einvernommen. Die Begründung: Das Gericht wisse ohnehin, dass er nichts Sachdienliches auszusagen habe.

* Die Einvernahme einiger anderen wichtigen Zeugen wurde ebenfalls abgelehnt.

* Der Gerichtsmediziner Professor Franchini stellte in seinem Obduktionsbefund fest, dass Falqui bei der vorangegangenen Schlägerei nur geringfügige und oberflächliche Verletzungen wie Hautabschürfungen und Blutergüsse erlitten hatte. Lediglich eine einzige Verletzung am Schädel war die tödliche gewesen und so beschaffen gewesen, dass sie mutmaßlich von einem Sturz mit Aufschlag auf einen Stein herrührte. Professor Franchini kam daher in seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass die wissenschaftlich annehmbarste Hypothese diejenige sei, dass Falqui in das Bachbett gestürzt sei und sich dabei an einem Stein die tödliche Schädelverletzung zugezogen habe.

* Professor Franchini stellte im Blut des Toten einen Alkoholgehalt von 1,7 Promillen fest und erklärte in seinem Befund, dass Falqui sich im Zustand einer „akuten alkoholischen Intoxikation“ befunden und zum Zeitpunkt seines Wegrennens in die Dunkelheit mit größter Wahrscheinlichkeit an Gleichgewichtsstörungen gelitten hatte.

Über dieses Untersuchungsergebnis des amtlich bestellten Gerichtsmediziners setzte sich das Gericht einfach hinweg.

Die „Pfunderer Buam“ waren Opfer – nicht Täter!

Die These der Vernehmenden und später des Gerichtes lautete, dass Falqui zu Tode geprügelt und dann in das Bachbett geworfen worden sei. Daher wurden die Burschen, wie sie später vor Gericht aussagten, so lange geschlagen, bis sie die italienischen Protokolle, deren Inhalt sie nicht verstanden, unterschrieben hatten. Diese Protokolle enthielten „Geständnisse“, die zur Grundlage der Verurteilung der Burschen wurden.

Der Prozess gegen die Pfunderer Burschen begann am 8. Juli 1957 und fand vor dem Schwurgericht in Bozen statt.

In Ketten wurden die Pfunderer Burschen in das Gefängnis nach Bozen gebracht.
In Ketten wurden die Pfunderer Burschen in das Gefängnis nach Bozen gebracht.

Den Angeklagten half es nichts, dass sie aussagten, bei den Verhören geschlagen und zur Unterschrift der in italienischer Sprache abgefassten Protokolle erpresst worden zu sein. Das Gericht verwarf ihren Widerruf im Gerichtssaal. Die Verhandlung wurde nur in italienischer Sprache geführt. Die angeklagten Bauerburschen konnten weder den Aussagen der Zeugen noch der Beweisführung der Ankläger folgen.

Der Staatsanwalt Dott. Mario Martin erklärte: „Ich verlange von euch Richtern eine Mutprobe! Euer Schuldspruch stimme überein mit dem Gefühl des Volkes, von dem ihr delegiert worden seid.“ (Zitiert nach dem Bericht in: „Justiz in Südtirol“, Hrsg. Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol, Innsbruck 1958, S. 19f)

Der Staatsanwalt Dott. Mario Martin war ein Mann mit faschistischer Vergangenheit, der offenbar seine Gesinnung nicht gewechselt hatte. Er sollte 1961 nach der „Feuernacht“ als Untersuchungsrichter die grausamen Folterungen Südtiroler Häftlinge decken, deren Klagen ignorieren und die Gefolterten mit zusätzlichen Verleumdungsklagen bedrohen.
Der Staatsanwalt Dott. Mario Martin war ein Mann mit faschistischer Vergangenheit, der offenbar seine Gesinnung nicht gewechselt hatte. Er sollte 1961 nach der „Feuernacht“ als Untersuchungsrichter die grausamen Folterungen Südtiroler Häftlinge decken, deren Klagen ignorieren und die Gefolterten mit zusätzlichen Verleumdungsklagen bedrohen.

Noch ungeheuerlicher äußerte sich die Vertretung der Privatanklage. Sie nannte die Angeklagten „Hyänen“, „Bestien“ und „hündische Meute“. Alle Bewohner des „finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales Pfunders“ hätten, politisch von der einheimischen Presse verhetzt, im sardischen Finanzer Falqui „den Bringer des Fortschritts und der Kultur“ gehasst und mit Mordlust verfolgt.

Der Nebenkläger Dott. Vigilio Dadea aus Mailand beschimpfte unter wohlwollender Duldung des Gerichtsvorsitzenden Dott. Leone Borzaga die Bauernburschen als „Ränkeschmiede mit dem finsteren Blick des Verbrechers, abgefeimte Delinquenten unter der Maske der Naivität, halbe Kannibalen, Wegelagerer und Mörder.“

Die Pfunderer Burschen vor Gericht.
Die Pfunderer Burschen vor Gericht.

Am 16. Juli 1957 wurden die 7 Pfunderer Burschen zu Strafen zwischen 24 und 10 Jahren verurteilt. Florian Weissteiner erhielt 16 Jahre Kerker.

Die „Liga für Menschenrechte“ veröffentlichte im Jahre 1958 eine Broschüre, in welcher der Skandalprozess gegen die Pfunderer Burschen eingehend untersucht und dargestellt wurde. Auf dem Umschlagbild ist der junge Pfunderer Alois Ebner zu sehen. (Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol (Hrsg.): „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958)
Die „Liga für Menschenrechte“ veröffentlichte im Jahre 1958 eine Broschüre, in welcher der Skandalprozess gegen die Pfunderer Burschen eingehend untersucht und dargestellt wurde. Auf dem Umschlagbild ist der junge Pfunderer Alois Ebner zu sehen. (Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol (Hrsg.): „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958)
Mit rasselnden Ketten wie Vieh aneinandergehängt, wurden die Pfunderer Buam zur zweiten Verhandlung nach Trient gebracht.
Mit rasselnden Ketten wie Vieh aneinandergehängt, wurden die Pfunderer Buam zur zweiten Verhandlung nach Trient gebracht.
Aus der Illustrierten „DER STERN“. Der Zweite von links: Florian Weissteiner.
Aus der Illustrierten „DER STERN“. Der Zweite von links: Florian Weissteiner.

Am 27. März 1958 wurde in der Berufungsverhandlung in Trient nach fünfstündiger Beratung neuerlich das Urteil gesprochen. Die Südtiroler Tagezeitung „Dolomiten“ berichtete, dass im Gerichtssaal Totenstille herrschte. Als das Wort „ergastolo“, „lebenslänglich“, als verkündete Strafe für Alois Ebner fiel, waren im Publikum „halberstickte Laute des Entsetzens“ zu hören.

Die jungen Burschen, die nur ihre Tiroler Mundart und kein Italienisch sprachen, hatten dem Gang der nur in italienischer Sprache geführten Verhandlung kaum folgen können. Fassungslos vernahmen sie nun das Urteil, mit welchem Florian Weissteiner 17 Jahre und 10 Monate Kerker erhielt. Die Angeklagten standen kreidebleich zwischen den Carabinieri. Den Schuldspruch zu übersetzen, hielt man nicht für nötig. Sie waren fassungslos, wie geistesabwesend, als ihnen die Carabinieri die Handschellen anlegten. Keiner sprach ein Wort, dann wurden sie mit Ketten aneinandergefesselt hinausgeführt.

Titelseite der „Dolomiten“ vom 28. März 1958
Titelseite der „Dolomiten“ vom 28. März 1958

Am 1. April 1958 veröffentlichten die „Dolomiten“ eine Entschließung der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP), in welcher es hieß, dass „mit diesem Urteil nicht eine gerechte Strafe“ für eine begangene Tat gefunden worden sei, „sondern es wurde Rache geübt, die zur Beschaffenheit der Tat und den offenbaren Absichten der Täter in keinem Verhältnis steht und an die dunkelsten Zeiten unmenschlicher Strafjustiz erinnert.“

Zahlreiche österreichische und bundesdeutsche Zeitungen prangerten die Methoden der  italienischen Justiz an. Links im Bild auf der Titelseite des „Wiener Echo“ der zu lebenslanger Haft verurteilte Alois Ebner.
Zahlreiche österreichische und bundesdeutsche Zeitungen prangerten die Methoden der  italienischen Justiz an. Links im Bild auf der Titelseite des „Wiener Echo“ der zu lebenslanger Haft verurteilte Alois Ebner.

Das Urteil rief in ganz Tirol Entsetzen hervor. Am 1. April 1958 ruhte in ganz Nordtirol von 10 Uhr bis 10.05 Uhr alle Arbeit zu einem Gedenken an die unglücklichen Pfunderer Burschen.

Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey.
Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey.

Der Nordtiroler Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey erklärte während dieser Gedenkminuten über den Rundfunk:

„In diesen Augenblicken ruht die Arbeit in Stadt und Land. In Häusern und Fabrikshallen schweigt  der Lärm. Das Tiroler Volk denkt, von tiefstem Leid erfasst, an jene sechs jungen Bauernsöhne eines entlegenen Südtiroler Bergdorfes, deren Leben durch einen Richterspruch ganz oder teilweise vernichtet wird.“

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Am 13. Mai 1960 wurden die Burschen auseinander gerissen und auf verschiedene Kerker im Süden Italiens verteilt. Auch die Brüderpaare Ebner und Unterkircher durften nicht zusammen bleiben.

Das Martyrium der Pfunderer Buam sollte 12 lange Jahre dauern. In Rom war man sich dessen bewusst, dass es sich bei dem Fall der Pfunderer Buam um einen politischen Fall gehandelt hatte. Im Zuge der abschließenden Verhandlungen zum Südtirol-Autonomiepaket kam Rom daher den Südtirolern entgegen. Am 18. Dezember 1968 begnadigte der italienische Staatspräsident Giuseppe Saragat die inhaftierten Burschen mit Ausnahme von Luis Ebner, der erst am 25. November 1969 begnadigt nach Hause zurückkehren konnte.

Südtiroler Heimatbund

Schließlich zeige Lang am Beispiel der Handhabung der Ergebnisse des vom Südtiroler Landtag einberufenen Südtirol-Konvents die heutigen Licht- und Schattenseiten der Südtiroler Autonomie auf und wie man heutzutage die legitimen Bestrebungen der Südtiroler nach Eigenständigkeit und nach Schutz ihres Volkstums unterminierte.

Dabei war die Beteiligung und Mitarbeit tausender Südtiroler am Südtirol-Konvent und für die Weiterentwicklung der Autonomie für Südtirol eine absolute Neuheit. Es sollte ein neuer großen Baustein für die Selbstverwaltung Südtirols und den Ausbau das Europa der Regionen gesetzt werden. Hingegen hat man die demokratisch ausgearbeiteten und gefassten Beschlüsse mit einer nie dagewesenen Gerissenheit und Hinterlist in den Schubladen des Landhauses verschwinden lassen. Dies nur weil die Beschlüsse nicht nach den Absichten der Promotoren ausfielen. In einer unheiligen Allianz zwischen linken und rechten romhörigen Bündnispartnern zog man das „Zurück zum Natonalen“ und zum scheibenweisen Abbau ehe schon spärlichen und in vielen Bereichern ausgehöhlten Autonomie.

Lang stand dann den Buchautoren Rede und Antwort. Dr. Carlo Simeoni bedankte sich, dass ihm die Geschehnisse und Vorgänge in Südtirol einmal ganz anderes dargelegt, eingeordnet und angemessen bewertet werden, wie es sonst der Fall ist.

Simeoni, der in Trient in mehreren Traditionsverbänden mitwirkt, betonte, dass immer mehr Welschtiroler für das „Los von Rom“ und Aufwertung der Europaregion Tirol plädieren. In einem seiner letzten Bücher hat wörtlich folgendes geschrieben: „Wenn wir nicht den Mut haben zu sagen, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen wollen, sind wir nur farblose Fahnen, die im Wind wehen.“

Ähnliches hob der aus einer alten Tiroler Adelsfamilie stammende und im Suganertal lebenden Dr. Max Unterrichter die Notwendigkeit eines neuen Heimatbewusstseins hervor. Unterrichter genießt einen hervorragenden Ruf als Wald- und Forstwissenschaftler. Als langjähriges Mitglied der Akademie der Forstwissenschaften und Autor zahlreicher Expertisen über die klimatischen Veränderungen und der regionalen Wirtschaftskreisläufe hat er sich weit über das Trentino hinaus große Verdienste für den Umweltschutz erworben.

Der Buchautor Günther Rauch erinnerte hingegen an dunklen und vergessenen Zeiten der Geschichte Tirols und gab kurz Einblick in sein – wenn alles klappt – im Frühherbst erscheinende, neue sensationelles Enthüllungsbuch über den faschistischen Marsch auf Bozen und den diesbezüglichen Machenschaften zwischen den deutschen und italienischen Nationalisten. 

Tag der Freiheit für verurteilte Südtiroler Freiheitskämpfer gefordert

Der Tiroler FPÖ Klubobmann und Anwalt Markus Abwerzger fordert nun einen „Tag der Freiheit“ für alle verurteilten Südtiroler Freiheitskämpfer.


 

Für Abwerzger steht fest, dass mit der Begnadigung von Heinrich Oberleiter  – durch den italienischen Staatspräsidenten Mattarella, nun auch alle weiteren verurteilten Freiheitskämpfer begnadigt werden müssten.

Noch immer verhärtete Fronten in Rom

Im Mai dieses Jahres hatte die „neofaschistische“ Partei Fratelli d´Italia im italienischen Parlament die sofortige Auslieferung der Südtiroler Freiheitskämpfer an Italien gefordert. Dies muss wohl nach über 60 Jahren fraglos als beschämend bezeichnet werden. Es zeige sich, dass es für die noch immer im Exil lebenden Freiheitskämpfer hoch an der Zeit wäre noch zu Lebzeiten der betagten Herren, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Somit ist deren Begnadigung höchst überfällig.

Kniefall vor Rom seitens SVP

Im Juni des heurigen Jahres wurde im Südtiroler Landtag ein Antrag zur Abstimmung gebracht, dessen Ergebnis wohl nur als „Kniefall“ vor Rom zu werten war. Dieser Antrag behandelte einmal mehr die Begnadigung/Amnestie der verbliebenen Südtiroler Freiheitskämpfer der 60er Jahre. Anlässlich der sechzigsten Wiederkehr der Feuernacht sollte ein unmissverständliches Zeichen für die Heimkehr der Helden gesetzt werden.

Der Antrag wurde von Seiten der SVP abgelehnt. Diese schockierende Vorgangsweise, sich zusammen mit italienischen Nationalisten gegen die Heimkehr der Freiheitskämpfer auszusprechen, ist bis dato in der Geschichte der SVP einzigartig. Dies trägt zweifellos den fahlen Beigeschmack von Verrat an der Heimat.

Wer sich gegen die verbrecherischen Methoden eines Staates zur Wehr setzt, der eine ethnische Volksgruppe auslöschen will, ist kein Verbrecher, sondern ein Widerstandskämpfer und Freiheitsheld, so lautete die Stellungnahme der Südtiroler Freiheit zu dieser skandalösen Vorgehensweise seitens der SVP.

Abwerzger fordert nun Tag der Freiheit 

„Endlich“, so kommentiert der Tiroler FPÖ-Landesparteiobmann Abwerzger die Begnadigung von Heinrich Oberleiter durch den italienischen Staatspräsidenten. „Er und seine Mitstreiter haben jahrzehntelanges Unrecht erlebt, daher braucht es nun einen Tag der Freiheit für alle verurteilten Freiheitskämpfer“, erklärt er in einer Aussendung.

Darin verweist er darauf, dass der Beitrag der Freiheitskämpfer für die Autonomie Südtirols mehr als bedeutend war. „Sie haben für ihr Volk, für die deutsche Sprache und für die Tiroler Identität gekämpft und ihr Leben riskiert.“

Für den Tiroler FPÖ-Landesparteiobmann steht fest, dass mit der Begnadigung von Oberleiter nun auch alle weiteren verurteilten Freiheitskämpfer begnadigt werden müssen: „Ich fordere den Herrn Bundespräsidenten Dr. Alexander Van der Bellen daher auf, sich dafür sofort einzusetzen.“

Von unserer Seite sei nur gesagt, es ist hoch an der Zeit hier endlich einen „historischen Schlussstrich“ zu ziehen

FPÖ erreicht Begnadigung von Südtiroler Freiheitskämpfer

Die unermüdlichen Bemühungen der FPÖ, für eine (längst überfällige) Generalamnestie unter Einschluss aller Beteiligten für die Südtiroler Freiheitskämpfer, haben nun Früchte getragen. Der seit nunmehr 60 Jahren im bayrischen Exil lebende Heinrich Oberleiter darf im stolzen Alter von 80 Jahren in seine geliebte Heimat zurückkehren.

Der Südtirol-Sprecher der FPÖ, Peter Wurm, freut sich über diesen Erfolg, in der Hoffnung, dass weitere folgen werden, etwa in Form einer Generalamnestie. Das unmöglich geglaubte ist wahr geworden, es mutet ein wenig wie ein historisches Weihnachtswunder an (Anm. der Red.).

Die vier „Pusterer Buam“ aus dem Ahrntal

Diese in Kreisen der Südtiroler Freiheitshelden berühmt gewordenen Widerstandsgruppe der BAS gehörte, neben Sepp Forer, Heinrich Oberlechner und Siegfried Steger in weiterer Folge auch Heinrich Oberleiter an. Seine drei Mitstreiter mussten in Folge der „Feuernacht“ 1961 ihre Heimat verlassen. Sie gingen nach Österreich und Deutschland ins Exil.

Oberleiter, Jahrgang 1941, konnte vorerst noch in Südtirol bleiben. Ursprünglich hatten die „Pusterer Buam“ vor allem mit gezielten Anschlägen unter anderem auf Strommasten auf die „völkerrechtswidrige“ Teilung Tirols und Unterwerfung ihrer Heimat unter das italienische Joch protestiert. Nachdem aber die Folterungen der inhaftierten BAS-Aktivisten und die Ermordung von Luis Amplatz bekannt wurden, griff man zu radikaleren Mitteln, um sich Gehör zu verschaffen. Man ging dazu über, direkte Angriffe auf italienische Sicherheitskräfte auszuführen.

Ermordungen von Carabinieri und Soldaten der Guardia di Finanza in den 1960er Jahren wurden den „Pusterer Buam“ allerdings völlig zu Unrecht von Seiten der italienischen Staatsmacht angelastet.

Italien forderte jahrelang Auslieferung 

Die in Abwesenheit der Angeklagten gefällten Urteile über die „Pusterer“ sind bis heute aufrecht. In den 1960er Jahren hatten die Schwurgerichte von Bologna und Florenz Oberleiter zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ungeachtet einer Vereinbarung über eine „Streitbeilegung“ zwischen Österreich und Italien in der „Südtirol-Politik“ und einer vereinbarten Amnestie aller BAS-Aktivisten, wurden die Urteile gegen die „Pusterer“ nicht aufgehoben.

Ganz im Gegenteil forderte Italien wiederholte Male deren Auslieferung.

Begnadigung der verbleibenden drei „Pusterer“ ausständig

Nunmehr wäre es allerdings hoch an der Zeit eine Begnadigung der verbliebenen drei „Pusterer“ von Seiten der italienischen Regierung durchzuführen, ohne dass es dafür eigener Gnadengesuchen bedarf. Angesichts dessen, dass sich der italienische Staat im Umgang mit den Südtiroler Freiheitskämpfern ohnedies nicht mit Ruhm bekleckert hatte. Man denke da nur an die Folterungen durch italienische Carabinieri, in einem Originalbrief eines gefolterten Freiheitshelden erschütternd zu lesen war.

Es muss dies somit ganz klar als längst überfälliger Akt der Menschlichkeit betrachtet werden.

Die „Südtiroler Freiheit“ äußert sich dazu in einer Aussendung wie folgt: „es ist höchst an der Zeit, dass unsere Freiheitskämpfer, die ihr ganzes Leben für Volk und Heimat geopfert haben, endlich heimkehren dürfen!“

In diesem Sinne sei auch von unserer Seite der innige Wunsch an Heinrich Oberleiter gerichtet, auf dass er seinen Lebensabend noch gebührend als freier, rehabilitierter Mann in seiner Heimat verbringen kann.

Letztes Pfiat Gott für einen Südtiroler Freiheitshelden.

Geboren am 22. Februar 1932 in Meran Obermais, hat nun einer der letzten noch lebenden Helden des Südtiroler Freiheitskampfes, kurz vor Erreichung seines 90. Geburtstages, den letzten Weg angetreten. Sepp Mitterhofer, ein aufrechter, nimmermüder Verteidiger der Freiheit Südtirols, ist am 27.11.2021 nach kurzer schwerer Krankheit verstorben.
 

Die frühen Jahre und der Freiheitskampf 

In jungen Jahren hatte er sich dem von Sepp Kerschbaumer gegründeten BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) angeschlossen. Aktiv beteiligte er sich dabei an den ausschließlich gegen „Einrichtungen“ des (italienischen) Staates gerichteten Anschlägen.

Diese hatten damals zum Ziel, die Weltöffentlichkeit auf die „Knechtschaft“ Südtirols unter dem italienischen Joch und das dadurch geschehene Unrecht aufmerksam zu machen.

Verhaftung nach der „Feuernacht“

Als Feuernacht oder Herz Jesu Nacht bekannt geworden, bezeichnet die Nachtstunden zwischen dem 11. Und 12. Juni 1961, in denen von den Freiheitskämpfern des BAS in ganz Südtirol, als Zeichen gegen die Unterdrückung, insgesamt 37 Strommasten und mehrere Bahnverbindungen gesprengt wurden.

Nach dieser Nacht, die ein deutliches Zeichen des Widerstandes gegen die italienische „Zwangsintegration“ Südtirols gesetzt hatte, wurde auch Sepp Mitterhofer verhaftet.

Im Gefängnis verfasste er einen Brief der Zeugnis über die Unmenschlichkeit und Folter durch die italienischen Machthaber, der heimlich aus seiner Zelle an die Öffentlichkeit gebracht werden konnte.

Daraus möchten wir hier ein paar Auszüge zitieren, um die unfassbaren Zustände zu verdeutlichen, unter denen Mitterhofer inhaftiert war. Das Schreiben war an den damaligen, ebenfalls in Meran gebürtigen Landeshauptmann Dr. Silvius Magnago gerichtet. Das Original dieses Briefes in gesamter Länge befindet sich heute im Archiv der SVP, Landesarchiv Bozen.

Das erschütternde Zeugnis der Haft

„Im Ganzen musste ich zwei Tage und drei Nächte strammstehen ohne etwas zu Essen, Trinken und zu Schlafen. … Mit Fußtritten wurde ich an den Füßen und am Hintern bearbeitet und auf den Zehen herumgetreten…. Am meisten geschlagen wurde mir ins Gesicht, dass ich so verschwollen wurde, dass ich später nicht mehr den Mund aufbrachte zum Essen. Die Arme wurden mir am Rücken hochgerissen, dass ich laut aufschrie vor Schmerz. Einmal musste ich mich halbnackt ausziehen, dann wurde ich so lange mit Fausthieben bearbeitet bis ich bewusstlos zusammenbrach…. Öfters musste ich stundenlang vor brennende Scheinwerfer stehen und hineinschauen bis mir der Schweiß herunter rann und die Augen furchtbar schmerzten. Man zog mich an den Ohren und riss mir Haare büschelweiße vom Kopf. … Der Rücken musste glatt an der Mauer angehen, kaum, dass ich mich rührte oder mit den Zehenspitzen etwas herausrutschte, so schlug mich ein Carabiniere der vor mir stand, mit dem Gewehrkolben auf die Zehen oder auf den Körper.“

Der folgende Prozess fand in Mailand statt, Mitterhofer wurde dabei zu 12 Jahren verurteilt, von denen er ganze 8 Jahre im Kerker verbringen musste.

Kein Kerker konnte seinen Glauben an Südtirol brechen

In weiterer Folge war es Mitterhofers eiserner Glaube an seine Heimat, der ihm die Kraft gab, seinen Kampf mit politischen Mitteln fort zu führen. Keine Folter und keine Haft konnten seinen Glauben an Südtirol erschüttern.

Nach seiner Freilassung wurde er Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“(SHB) unter der Führung von Hans Stieler und zahlreichen ehemaligen politisch gleichgesinnten Häftlingen.

Dabei hatte man sich „die Durchsetzung des seit 1919 verwehrten Selbstbestimmungsrechtes, das die Entscheidung über die Wiedervereinigung des geteilten Tirol bis zur Salurner Klause zum Gegenstand hat“ auf die Fahnen geheftet und in den Satzungen des SHB verankert.

Unermüdlicher Einsatz für ehemalige politische Häftlinge

In den folgenden Jahren war Mitterhofer mit Unterstützung durch Rechtsanwälte und Personen des öffentlichen Lebens um die „Rehabilitation“ ehemaliger politischer Häftlinge bemüht. Dadurch konnte die Löschung der italienischen Staatshypotheken auf den Besitz ehemaliger politischer Gefangener und damit einhergehende Wiedererlangung der bürgerlichen Rechte im Jahre 1995 erreicht werden.

Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu politischer Wiedergutmachung war ohne Zweifel auch die im Jahre 2000 veröffentlichte Dokumentation mit Dokumenten und erschütternden Zeitzeugenberichten des Südtiroler Freiheitskampfes.

Alleine durch die Mitwirkung Mitterhofers beispielsweise, konnte der Landesfestzug in Innsbruck 2009 im Gedenken an den Freiheitskampf von 1809, weg von einer Trachtenparade hin zu einem eindrucksvollen Bekenntnis für die Einheit Tirols und zu einem „Los von Rom“ Bekenntnis werden.

Ehrenurkunde von FPÖ für unermüdlichen Einsatz

Im Zuge seiner Rede vor dem Österreich-Konvent des Österreichischen Parlamentes zum Thema Selbstbestimmungsrecht und dem Ziel der Landeseinheit Tirols, bekam Mitterhofer durch den Nationalratsabgeordneten und Südtirol-Sprecher der FPÖ, Dr. Pahl eine Ehrenurkunde für seinen unermüdlichen Einsatz überreicht.

Auch medial war Sepp Mitterhofer ein nimmermüder Mahner gegen die Akzeptanz eines Verbleibes bei Italien.

Selbst nach der Übergabe seiner Obmannschaft im SHB 2011 an seinen Nachfolger, endete sein Wirken für Südtirol keineswegs. So war er auch an der Bozener Dokumentarausstellung zum Thema des Südtiroler Freiheitskampfes maßgeblich beteiligt.

Eine ehrfurchtsvolle und tief empfundene Verneigung mögen wir hier einem mutigen Helden entbieten, dem die Knechtschaft Südtirols niemals als unabänderliches Schicksal galt und der Vorbild auch in diesen Tagen sein muss.

Ein inniges Pfiat Gott Sepp Mitterhofer, Kämpfer für Südtirol!

60 Jahre „Feuernacht“: Auspizien des Südtiroler Freiheitskampfs

Von Reinhard Olt
 

Feuernacht · Foto: SHB/SSB

Ein Reisebus verlässt Innsbruck. Die Insassen begeben sich auf „Exkursion“ nach Verona. „Pro arte et musica“ heißt ihr Programm, auf das sie Günther Andergassen, Hochschullehrer am Salzburger Mozarteum, mitnimmt. Doch sie sind keine gewöhnlichen Ausflügler, ihre Fahrt am 10. Juni 1961 dient der Tarnung. Auch Herlinde Molling, die an diesem Tag ihr Sport-Coupé mit dem Münchner Kennzeichen M‑LE 333 gen Süden chauffiert, um in Vilpian, einem Ort zwischen Bozen und Meran, auf ihren Mann Klaudius zu treffen, der zu besagter Reisegruppe gehört, ist nicht wirklich zum Vergnügen unterwegs. Im Kofferraum transportiert sie Sprengstoff. Sprengstoff führen auch die „Exkursionsteilnehmer“ in Rucksäcken mit sich. Auf Almhütten, Waldlichtungen, selbst in einem Gasthof mitten in Bozen trifft man sich mit Landsleuten aus dem südlichen Teil Tirols und übergibt ihnen die portionierten „Mitbringsel“.

Donarit und Zeitzünder

Am Spätabend des 11. Juni verlässt Luis Steinegger seinen Hof und fasst oberhalb von Tramin das dort in einer Höhle verwahrte Donarit, welches einer der Exkursionsteilnehmer überbracht hat. Mit seinem Freund Oswald Kofler präpariert er zwei Strommasten in Altenburg. Sie befestigen den Sprengstoff, legen die Zündschnur lose um die Stahlträger. Dann wird der Zeitzünder, Marke Eigenbau, scharf gemacht. Die Uhr der Dorfkirche schlägt zehn Mal, als Steinegger den Zünder auf eins stellt. Pünktlich um ein Uhr detonieren die Ladungen, die Strommasten krachen in sich zusammen. Dasselbe in Sinich nahe Meran, wo Sepp Innerhofer von Schenna aus mit dem Feldstecher beobachtet, wie die von ihm „geladenen“ Masten unter widerhallendem Getöse wie Streichhölzer umknicken. Auch in Bozen durchbricht um dieselbe Zeit ein lauter Knall die nächtliche Ruhe. Das donnergleiche Grollen, dem weitere Detonationen folgen, reißt viele aus dem Schlaf. Zwischen eins und halb vier blitzt und knallt es rund um den Bozner Talkessel, krachen stählerne Ungetüme zu Boden. (Zeitzeugenberichte aus dem 2011 im Innsbrucker Tyrolia-Verlag erschienenen Buch „Südtirol 1961, Herz Jesu-Feuernacht …“ von Birgit Mosser-Schuöcker und Gerhard Jelinek)

Ausnahmezustand, Haft, Folter, Tod

Der Gefangene Innerhofer (links) · Foto: SHB/SSB

Am Morgen des 12. Juni, des „Herz-Jesu-Sonntags“, wird das Ausmaß dessen ersichtlich, was die „Feuernacht“ bewirkte: 37 Hochspannungsmasten, acht Eisenbahnmasten und zwei zu Kraftwerken führende Hochdruckwasserleitungen sind in die Luft geflogen: Eine effektvolle konspirative Gemeinschaftsaktion des „Befreiungsausschusses Süd-Tirol“ (BAS) mit dem Ziel der größtmöglichen Schädigung Italiens unter Schonung von Menschen und Privateigentum. Die Weltöffentlichkeit soll auf das Südtirol-Problem aufmerksam gemacht und auf die als Besatzungsregime empfundene italienische Staatsmacht Druck ausgeübt werden. Dem BAS gehören etwa 200 Aktivisten aus beiden Teilen Tirols an: „Wir fordern für Südtirol das Selbstbestimmungsrecht! (…) Europa und die Welt werden unseren Notschrei hören und erkennen, dass der Freiheitskampf der Südtiroler ein Kampf (…) gegen die Tyrannei ist.“ Doch ihr Aufruf zum Kampf erfährt erst breitere Unterstützung, als die Bevölkerung die Reaktion Roms auf die Feuernacht direkt verspürt: es verhängt den Ausnahmezustand über die Provinz, das gesamte IV. Armeekorps – 24 000 Soldaten – sowie zusätzlich 10 000 Carabinieri – kasernierte Polizeikräfte – werden nach Südtirol verlegt. Bis Ende Juli werden die meisten Südtiroler BAS-Mitglieder inhaftiert, darunter auch Sepp Kerschbaumer, ihr Kopf. Seine Mitstreiter Franz Höfler und Anton Gostner erliegen grausamen Folterungen in der Carabinieri-Kaserne von Eppan. Jetzt erst kommt es zu einer Welle der tätigen Solidarität. Auch von politischer Seite in Österreich.

Was treibt die „Bumser“ an, wie die Attentäter noch heute im Volksmund genannt werden? Sie wollen ein markantes Zeichen setzen, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das ungebrochene neokolonialistische Gebaren Roms zu lenken. Der südliche Landesteil Tirols ist Italiens Kriegsbeute, Belohnung dafür, dass es aus dem Dreibund (mit Deutschem Reich und Österreich-Ungarn) zu Beginn des Ersten Weltkriegs ausschert, sich anfangs als „Neutraler“ geriert, um 1915 auf der Seite der Entente-Mächte England und Frankreich als Verbündeter in den Krieg eintritt. Vor dem Untergang der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie war es – wie „Welschtirol“ (Trentino) für fünf Jahrhunderte Teil der „gefürsteten Grafschaft Tirol“ und also Habsburger-Kronland. Nach dem Friedensdiktat von Saint-Germain-en-Laye (10. September 1919) gliedert das Königreich Italien am 10. Oktober 1920 das Land bis zum Brenner ein. Mit der Machtübernahme Mussolinis 1922 soll das „Alto Adige“ („Hochetsch“) entdeutscht und kulturell italianisiert werden. Das römische Verwaltungssystem wird eingeführt, die italienische Sprache zur alleinigen Amts- und Unterrichtssprache erklärt. Infolge gezielter Ansiedlung von Unternehmen und Beschäftigten aus Altitalien verdreifacht sich bis 1939 die Zahl ethnischer Italiener in Südtirol. Schließlich verabreden die Diktatoren Mussolini und Hitler, „Achsenpartner“ im bald darauf entfesselten Krieg, das sogenannte Optionsabkommen: damit zwingen sie die Südtiroler, sich entweder für „das Reich“ zu entscheiden und die Heimat zu verlassen, oder zu bleiben und in der Italianità aufzugehen.

Benito Mussolini im April 1926 in Rom · Foto: Archiv Rauch

Die verfälschte Autonomie

Nach dem Zweiten Weltkrieg verwerfen die Alliierten die Rückgliederung Südtirols an Tirol und das wieder erstandene Österreich, wie es mehr als 175 000 im Geheimen gesammelte und in Innsbruck an Kanzler Leopold Figl übergebene Unterschriften fordern. Zwar gesteht ein zwischen Außenministern Karl Gruber und dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide de Gasperi im September 1946 zu Paris geschlossenes Abkommen den Bewohnern der Provinz Bozen weitgehende sprachliche und kulturelle Rechte sowie eine gewisse Selbstverwaltung zu. Doch Rom führt diese Übereinkunft im ersten Autonomiestatut von 1948 dadurch ad absurdum, dass es seine Gültigkeit für die Region Trentino-Alto Adige festlegt, worin die beiden Nachbarprovinzen zusammengeschlossen und die Südtiroler von der Dominanz der ethnischen Italiener des Trentino majorisiert sind. Dagegen und gegen die auch vom demokratischen Italien quasi in Kolonialherrschaftsmanier bruchlos fortgesetzte Ansiedlung von Süditalienern – in neuerlichen Wohnbau- und Industrieprojekten – wenden sie sich in der vom nachmals legendären Landeshauptmann Silvius Magnago initiierten „Los von Trient“-Bewegung. Die 1950er und 1960er Jahre sind daher vom Aufbegehren gegen die römische Politik erfüllt. Vorläufer des BAS ist die „Gruppe Stieler“; auch sie hält sich strikt an das Gebot „Gewalt lediglich gegen Sachen“.

Gruber-DeGasperi-Abkommen 1946 · Foto: SHB/SSB

Gleichwohl kommt es am Tag nach „Feuernacht“ durch unglückliche Umstände zum ersten Opfer; ein italienischer Straßenwärter entdeckt nahe (der Provinz- und Sprachgrenze an der Landenge von) Salurn an einem mächtigen Baum einen nicht detonierten Sprengsatz, mit dem der Baum gefällt und die Straßenverbindung gen Trient sinnfällig-zeichensetzend unterbrochen werden sollte, der ihn während seines Entfernungsversuchs tötet. Infolge späterer Anschläge sind – auf beiden Seiten – insgesamt 25 Todesopfer zu beklagen. Jüngere Forschungen haben indes gezeigt, dass davon nicht wenige auf das Konto konspirativer Anschläge unter maßgeblicher Beteiligung italienischer Geheimdienstleute sowie des italienischen Zweigs „Gladio“ der verdeckt operierenden Nato-Geheimorganisation „Stay behind“ gehen.

150 BAS-Aktivisten wird man habhaft, einige können entkommen und setzen ihre Aktivitäten von Nord- und Osttirol aus fort. Im Mailänder Sprengstoffprozess 1963 gegen 94 Angeklagte (87 aus Südtirol, 6 aus Österreich, einer aus der Bundesrepublik) werden zumeist langjährige Haftstrafen ausgesprochen. Ein halbes Jahr später stirbt Sepp Kerschbaumer in einem Veroneser Gefängnis; 15.000 Südtiroler folgen seinem Sarg.

Viel ist seit jener „Feuernacht“ in Südtirol geschehen. Aufgrund zweier Deklarationen der Vereinten Nationen (UN), vor die der damalige österreichische Außenminister Bruno Kreisky den Südtirol-Konflikt trägt, wird in zähen Verhandlungen zwischen Rom, Bozen und Wien schließlich eine Lösung in Form eines neuen Autonomiestatuts gefunden, der die seit 1945 im Lande dominante Südtiroler Volkspartei (SVP) 1969 mit knapper Mehrheit zustimmt. Verbunden mit „Paketmaßnahmen“ und „Durchführungsbestimmungen“, deren Verwirklichung sich aufgrund römischer Finten immer wieder verzögert, wird der Konflikt mit der von der Schutzmacht Österreich vor den UN abgegebenen „Streitbeilegungserklärung“ gegenüber Italien erst 1992 völkerrechtlich beigelegt. Heute gehört die Provincia autonoma di Bolzano – Alto Adige Autonome Provinz Bozen-Südtirol zu den prosperierenden Gebieten Italiens und darüber hinaus, weshalb diejenigen, die mit den obwaltenden Verhältnissen, in denen sie sich mehr oder weniger komfortabel einrichteten, zufrieden sind und sie, wie allem Anschein nach die heutige Führung der nach wie vor regierenden Mehrheitspartei SVP – und mit ihr alle Parlamentsparteien des „Vaterlands Österreich“ außer der oppositionellen FPÖ – quasi als politischen und rechtlichen Endzustand erachten sowie als „Vorbild für die friedliche Beilegung von Minderheitenkonflikten“ propagieren. Alle anderen Südtiroler deutscher und ladinischer Zunge, die deutschsüdtiroler Opposition ohnedies, die austro-patriotischen Vereinigungen wie Heimatbund (SHB) und Schützen (SSB), aber auch diejenigen wenigen in der SVP, die die Autonomie nicht als „Endstadium“, sondern lediglich als Zwischenschritt auf dem völkerrechtlich möglichen und menschenrechtlich gebotenen Weg zur Selbstbestimmung betrachten, welche 1919 und 1946 verweigert wurde, setzen sich nach wie vor für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts ein.

Kein „Ende der Geschichte“

Ist der „Feuernacht“ eine politische Bedeutung und zukunftsgestalterische Wirkkraft eigen? Stets lehnten Magnago und die engere SVP-Führung Anschläge als prinzipiell verwerfliche Taten ab. Ebenso wie österreichische Politiker aus der Erlebnisgeneration bestritten sie, von deren Vorbereitung gewusst oder mit den Aktivisten zu tun gehabt oder gar zusammengewirkt zu haben. Das darf jedoch in dieser Pauschalität füglich bezweifelt werden, weil wir heute wissen, dass und welche Persönlichkeiten in Nordtirol, in anderen österreichischen Bundesländern, auch im benachbarten Bayern sowie in der damaligen Bonner Politikerriege und selbstredend auch in Südtirol hinter ihnen standen, ihr Tun wenn nicht ausdrücklich guthießen so doch mit Sympathie – und vereinzelt sogar über das Ideelle hinaus – begleiteten. Später hieß es dann, die Anschläge seien als „Anstoß für die Änderung der italienischen Südtirolpolitik“ zu sehen, an deren Ende die „Paket-Lösung“ von 1969 und das Zweite Autonomiestatut von 1972 standen. Das sei letztlich jenen zu verdanken (gewesen), die mit dem Einsatz ihres Lebens wesentlich dazu beitrugen, die Heimat vor Italiens ins Werk gesetztem fait accompli, nämlich einebnende, entnationaliserende Assimilierung, zu bewahren. Magnago äußert einmal, die Anschläge hätten „einen bedeutenden Beitrag zum Erzielen einer besseren Autonomie für Südtirol“ geleistet.

Doch Autonomie als Zustand und Wert an und für sich, wie sie Magnagos politische Enkel innerhalb und außerhalb seiner SVP geradezu verabsolutieren, weil es ihrem wohlgefälligen Mehren selbstbetrügerischen Zufriedenheitsempfindens frommt und das kompromisslerische Arrangement mit Rom sowie die schleichende Italophilie begünstigt, oder gewissermaßen gar als eine Art „Ende der Geschichte“ betrachten, wie nicht wenige Angehörige der politischen Klasse Österreichs – all ihren Sonntagsreden von der „Herzensangelegenheit Südtirol“ zum Trotz – wollten just die Freiheitskämpfer nicht. Weder jene, derer die italienische Staatsmacht 1961 und in den Jahren danach habhaft wurde, sie als „Terroristen“ verurteilte und manche sogar zu Tode schund; noch die damals Entwischten und in Abwesenheit menschenrechtswidrig zu lebenslänglicher oder mehrjähriger Haft Verurteilten und die seitdem ihre Heimat nicht mehr gesehen haben. Und schon gar nicht all jene, die sich ihnen und ihren Zielen auch heute und in Zukunft weiter verbunden und diesseits wie jenseits des Brenners durchweg ihrem Erbe verpflichtet fühlen.

Foto: SHB/SSB


Selbstbestimmtes „Los von Rom“

Ihr Ziel war und bleibt die Selbstbestimmung, das ideelle, materielle, politisch-rechtliche „Los von Rom“. Zu welchem Behufe und in welcher völker- oder staatsrechtlich geregelten Form, ob als nurmehr absolut lose mit Italien verbundenes, über Kulturhoheit, Jurisdiktion und Polizeigewalt verfügendes autonomes Territorium mit weitestgehendem Eigenstaatlichkeitscharakter, ob als von Österreich und Italien gemeinsam verwaltetes Kondominium mit Eigenrecht, ob als gänzlich unabhängiger souveräner Kleinstaat, ob als zehntes Bundesland Österreichs oder ob mit dem Bundesland Tirol und also Österreich wiedervereint, ist und bleibt offen. Klar muss allerdings sein, dass über das südliche Tirol und dessen Zukunft allein diejenigen zu befinden haben, die weder 1918/19 noch 1945/46 gefragt, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt worden sind, nämlich die Südtiroler deutscher und ladinischer Zunge – und zwar in freier, gleicher und geheimer Ausübung ihres unverbrüchlichen Rechts auf Selbstbestimmung.

Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Reinhard Michael Olt war 27 Jahre Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) und von 1994 bis 2012 deren politischer Korrespondent in Wien für Österreich, Ungarn, Slowenien, zeitweise auch für die Slowakei.
Daneben nahm er Lehraufträge und an deutschen und österreichischen Universitäten wahr und lehrte als Gastprofessor an ungarischen Hochschulen.
Seit 1990 ist er Träger des Tiroler Adler-Ordens, seit 2013 des Großen Adler-Ordens. 1993 erhielt er den Medienpreis des Bundes der Vertriebenen (BdV). 2003 zeichnete ihn der österreichische Bundeskanzler mit dem Leopold-Kunschak-Preis aus, und der österreichische Bundespräsident verlieh ihm den Professoren-Titel. 2004 wurde er mit dem Otto-von- Habsburg-Journalistenpreis für Minderheitenschutz und kulturelle Vielfalt geehrt und ihm das Goldene Ehrenzeichen der Steiermark verliehen.
2012 promovierte ihn die Eötvös-Loránt-Universität in Budapest zum Ehrendoktor (Dr. h.c.), verbunden mit der Ernennung zum Professor, und 2013 verlieh ihm der österreichische Bundespräsident das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. 2021erhielt er vom ungarischen Staatspräsidenten das Komturkreuz des ungarischen Verdienstordens.

Die faschistische Tradition der Folter in Südtirol – Italienischer Mißbrauch welcher noch nicht entschädigt wurde.

Die Anwendung von Folter und Gewalt gegenüber Wehrlosen durch die Staatsmacht hat in Südtirol eine lange und vor

allem faschistische Tradition.

Vor und bei den Verhören wurde geschlagen. Einzelheiten berichtete Ingomar Verhouz, der am 3. November 1925

zusammen mit einer Reihe Freunde in Bozen vom Liederstammtisch weg unter der Beschuldigung verhaftet worden war,

mit ihnen eine umstürzlerische Verschwörung gegen den Staat gebildet zu haben:

„Immer mehr Faschisten drangen in die Stube herein. Sie spuckten uns ins Gesicht und versetzten uns, die wir

bereits in Fesseln standen, Ohrfeigen, dann ließen sie die gemeinsten Beschimpfungen gegen die Deutschen vom Stapel

… Ich fühlte schon nicht mehr die Kolbenstöße der Carabinieri … Mühsam unter fortgesetztem Schlagen und Stoßen von Seiten

der Faschisten und Carabinieri schleppte ich mich über die Talferbrücke … So schleppte ich mich, mit aller Kraft mich

aufrecht haltend, unter Schlagen, Schimpfen und Bespucken von Seiten der Polizeiwache ins Polizeigewahrsam.“

Dann „arteten die Soldaten in Tätlichkeiten gegen mich aus. Zwei rissen mich an den Händen und einer an den

Haaren zu Boden. Ich musste meine gefesselten Hände an den Körper pressen, um sie mir nicht zu brechen und fiel

deshalb mit dem Gesicht nach vorn. Ein Vierter schlug mit seinem Gewehr unter fortgesetztem ‚porco

tedesco‘ (Anm.: ‚deutsches Schwein‘) sadistisch verblendet auf meinem Rücken herum. Wie lange

ich in dieser Weise gefoltert wurde, weiß ich nicht anzugeben, denn meine letzten Kräfte waren verbraucht und ich fiel in

Ohnmacht.“ (Ingomar Verhouz: „Hochverrat – Die Erlebnisse eines Südtirolers“, Wien 1930,

S. 21ff)

Als Verhouz sich weigerte, ein vorgefertigtes Geständnis des Hochverrats zu unterzeichnen, ging es los: „…wild

schrien sie durcheinander und einer dieser Helden glaubte, mit einem Gummiknüttel meine Unterschrift erpressen zu

können … Einzelne Kameraden hatten vier Wochen später noch blutunterlaufene Stellen auf ihrem Körper, die ebenfalls von

den Mißhandlungen der Carabinieri herrührten. Trotz dieser unmenschlichen Folter haben viele meiner Kameraden die

Lügenprotokolle nicht unterschrieben. Andere hatten „diese erzwungenen Geständnisse zurückgezogen und wegen

der gemeinen Folterungen Beschwerden eingebracht. All diese Beschwerden wurden vom Untersuchungsrichter mit

Achselzucken entgegengenommen und er sagte: ‚Da kann man nichts machen, es ist besser, Sie reden nicht

darüber.‘“ (Ingomar Verhouz: a.a.O., S. 34ff)

In Kastelruth schlug der Carabinieri-Capitano Baviera einen Südtiroler namens Tirler „so heftig, daß sich am Arme

das Fleisch vom Knochen löste; er hatte nicht den geringsten Anlass und gab als Grund an, er könne ‚die

deutschen Gesichter nicht vertragen. In derselben Gemeinde misshandelten die Karabinieri den Wegmacherbauer, als er

sich bei ihnen beschwerte, daß sie seinen Sohn misshandelt hätten.“ In Bruneck wurden „zahlreiche Bürger

auf der Straße und in den Wirtshäusern geschlagen. Es genügte, wenn sie untereinander Deutsch sprachen.“ (Dr.

Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 202ff)

In Lappach wurde der deutsche Feuerwehrhauptmann Paul von den Carabinieri aus dem Sonntagsgottesdienst gezerrt,

weil er eine Einladung zu einer Feuerwehrübung in deutscher Sprache am Gemeindehaus angeschlagen hatte. Er wurde

vor der Kirche in Ketten gelegt, mit welchen er vorher noch geschlagen wurde.

Auch die Carabinieri und Finanzieri standen den Faschisten in der Gewaltanwendung in nichts nach.

„Karabinieri und Finanzieri“, berichtet der Zeitzeuge Reut-Nicolussi, „herrschten wie eine Geißel

Gottes über die Dörfer, ohne daß es jemals möglich gewesen wäre, auch nur die gröbsten Übergriffe einer Sühne

zuzuführen.“ (Dr. Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 176)

inanzieri den sechzigjährigen Bauern Vinzenz Weissteiner, fesselten ihn und schleiften ihn

auf einer Leiter über den hartgefrorenen Boden ins Tal. Unterwegs ließen sie ihn immer wieder auf die gefrorene Erde

fallen. „In der Kaserne wird er auf den Boden geworfen und schwer geschlagen. Ein Finanzer kniet ihm dabei auf

dem Bauch. Dem Alten bricht Blut aus dem Munde.“ Sechs Wochen lang lag der Bauer nach dieser Behandlung

danieder und rang um sein Leben. (Dr. Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 178)

In der Carabinierikaserne von Villnöß wurde durch einen Steinwurf in der Nacht ein Fenster zertrümmert. Der Wirt

„Zum Lamm“, Josef Profanter, wurde verhaftet und „nun erbarmungslos misshandelt. Er vermochte

später nur mehr anzugeben, daß er in den ersten Morgenstunden in der Küche der Karabinierikaserne das Bewusstsein

wiedererlangt habe, als ihm die Karabinieri das Blut vom Leibe wuschen. Heimgeschickt, konnte er nicht stehen, noch

weniger gehen. So wurde er von drei Karabinieri zu seinem Hofe getragen. Dort legten sie ihn in der eisigen

Dezembernacht vor die Haustüre und liefen davon, bevor jemand heraustrat.“ (Dr. Eduard Reut-Nicolussi: a.a.O.,

S. 202ff)

Am 7. September 1926 geriet der junge Bergknappe Karl Platter in dem Wirtshaus zu Rabenstein, wo er mit anderen

Knappen den Barbaratag feierte, in einen Streit mit einem Finanziere. Er wurde von mehreren Finanzieri verhaftet und

mit Gewehrkolben bewusstlos geschlagen. Was dann geschah, schilderte 40 Jahre später, am 6. Oktober 1965, Platters

damalige Frau im Grazer Südtirolprozess den Geschworenen. Sie war von der Verteidigung der dort angeklagten Südtiroler

Freiheitskämpfer als Zeugin aufgerufen worden, um dem Gericht die Kontinuität italienischer Menschenrechtsverletzungen

von der Zeit des Faschismus bis zur Gegenwart darzulegen. Ein Dokumentarbericht über den Prozess berichtet:

„Die Zeugin Maria Frischhut gibt an, ihr erster Mann, der Schmied Platter, der 1926 mit einem italienischen

Finanzer in Streit geraten war, wäre wie ein Hund geschlagen worden. Ihr Mann sei, obwohl schwerverletzt, an den Füßen

gefesselt und wie ein Stück Holz den Weg hinunter ins Tal geschleppt worden. Ihr Mann sei an den Folgen der erlittenen

Mißhandlungen noch in der Nacht desselben Tages in Meran gestorben. Ein Verfahren gegen die Carabinieri sei im

Sande verlaufen.“ (Bergisel-Bund Österreichs (Hrsg.): „Der große Grazer Südtirolprozess von Schöffen und

Geschworenen“, Reihe: Südtirol. Berichte und Dokumente, Folge 2-3/1965, Innsbruck 1965, S. 81)

Wilhelm Eppacher aus Brixen hat Jahrzehnte später, am 6. Oktober 1965, vor dem Schwurgericht in Graz als Zeuge in

einem Prozess gegen österreichische Südtirolkämpfer den faschistischen Justizterror in bedrückender Weise geschildert:

„Monatelang war das Gefängnis in Bozen mit jungen Südtirolern vollgepfropft. Manche saßen wegen angeblicher

Schmähung der italienischen Staatseinrichtung oder weil sie beim Spielen der Faschistenhymne nicht den Hut vom Kopf

genommen hatten, hinter Gefängnismauern. Anderen warf man sogenanntes antinationales Verhalten vor. Gefoltert

wurde damals so wie heute. Einem Sepp Pilser aus Meran riss man die Haare mit ganzen Fetzen der Kopfhaut aus.

Andere Gefangene stellte man in heißes Wasser und schlug sie, bis sie bewusstlos waren. Ich selbst wurde nach kurzer

Gefängnishaft auf die Felseninsel Tremiti verbannt, wo ich fünf Jahre lang zusammen mit 500 anderen Südtirolern in einem

Konzentrationslager eingesperrt war.“ (Wiedergeben in: Otto Scrinzi (Hrsg.): „Chronik Südtirol 1959

– 1969“, Graz 1996, S. 68)

Der faschistische „Codice Rocco“ hatte mit einem Halbsatz die Folter möglich gemacht

Dass auch nach 1945 noch die Folterung von Gefangenen noch möglich war, hatte die Beibehaltung des faschistischen

Strafgesetzbuches und der faschistischen Strafprozessordnung – des nach dem damaligen faschistischen Justizminister

benannten „Codice Rocco“ – ermöglicht.

Voraussetzung war freilich, dass die Staatsanwaltschaft dabei mitspielte. Die Carabinieri und Polizeibeamten

unterstanden hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen und der Durchführung von Verhören der Staatsanwaltschaft.

Das legte der Artikel 220 der Strafprozessordnung („Codice di Procedura Penale“) fest.

Gemäß Artikel 244 dieser Strafprozessordnung hatten Polizei und Carabinieri die von ihnen Verhafteten unverzüglich und keinesfalls später als nach 24 Stunden dem Staatsanwalt und damit dem Gericht zu

übergeben.

Doch nun kam in einem Nebensatz der Pferdefuß: „außer wenn der Staatsanwalt … eine Verlängerung der Frist für

notwendig erachtet.“

Dieser teuflische Halbsatz hatte es in sich.

In einem Gefängnis kann man nicht foltern. Hunderte von Gefangenen würden die Schreie hören und wie ein Lauffeuer würde

sich die Nachricht von den Torturen durch die Gefängnistrakte verbreiten. Zu viele Mitwisser, zu viele Zeugen!

Auch in einem Gerichtsgebäude würden Schreie und Stöhnen aus Verhörzimmern unweigerlich Aufsehen erregen.

Gerichtsbeamte, Sekretärinnen, Rechtsanwälte könnten später Zeugnis ablegen.

In den Verhörkellern von Carabinierikasernen und Polizeistationen ist eine andere Situation gegeben. Hier sind Folterer

und Gefolterte unter sich. Hier kann man Menschen an den Rand des Todes bringen und wieder auferstehen lassen,

wobei Carabinieri-Militärärzte und Sanitäter in Uniform behilflich sind. In diesen Kellern kann man den Gefangenen unter

Qualen ihre Geheimnisse entreißen.

Es muss nur ein williger Staatsanwalt „die Verlängerung der Frist“, während welcher der Festgenommene in

der Gewalt der Carabinieri verbleibt, „für notwendig“ erachten.

In Südtirol fanden sich die Staatsanwälte, welche diese Notwendigkeit für gegeben erachteten und es fanden sich die

Untersuchungsrichter, welche nach den Folterungen die immer noch sichtbaren Folterspuren geflissentlich übersahen.

Erste Anschläge der Stieler-Gruppe – Anwendung der faschistischen „Cassetta“-Folter

Die ersten Widerstandshandlungen gegen diese Art von Regime verübte in der Zeit vom September 1956 bis zum Jänner

1957 eine Gruppe junger Männer rund um den Druckereiangestellten Hans Stieler und seine zwei Brüder. Sie führten erste

Demonstrationsanschläge durch, um die europäische Öffentlichkeit auf das aufmerksam zu machen, was in Südtirol vor sich

ging.

Hans Stieler und seine Mitstreiter wurden im Jänner 1957 verhaftet und teilweise schwer misshandelt, wobei die

faschistische ;Cassetta;-Folter wiederum Anwendung fand. Später sollten nur 2 von 14 Angeklagten vor

Gericht erklären, daß auf sie bei den Vernehmungen kein Druck ausgeübt worden sei. Bei Rudolf Göller aus Bozen waren die

Spuren der Folter jedoch nicht zu übersehen. Ihm waren die Zähne ausgeschlagen worden. (Elisabeth Baumgartner

– Hans Mayr – Gerhard Mumelter: „Feuernacht“, Bozen 1992, S. 353 – Anm. 24;

sowie „Dolomiten“, 21. 1. 1957)

Dem Brixener Volksschullehrer Johann Mittermaier, einem Freund Hans Stielers und des späteren Freiheitskämpfers

Georg Klotz, spielten die Carabinieri ebenfalls übel mit. Sein Sohn Karl berichtet, daß der Vater geschlagen und gedemütigt

wurde, ein Carabiniere hatte sogar auf ihn uriniert. (Hans Karl Peterlini;Südtiroler Bombenjahre;, Bozen

2005, S. 37)

Stieler selbst schilderte seine Mißhandlungen so: „Wir wurden nach unserer Verhaftung umgehend in die

Polizeikaserne gebracht. Man ging gleich zur Sache: zwei Männer hielten mich an den Armen fest und einer drückte mir

seine Daumen in die Augenhöhlen. Die Schmerzen waren unbeschreiblich.

Anschließend wurde ich mit dem Rücken auf eine mit großen Eisennieten gespickte Holzkiste gedrückt. Zwei Männer drückten

…“ (Günther Obwegs: „Freund, der du die Sonne noch schaust …“, Bozen 2004, S. 30)

Vor Gericht widerrief Hans Stieler seine sogenannten „Geständnisse“ vor den Carabinieri mit der

Begründung, er sei von diesen so lange „traktiert“ worden, bis er bereit gewesen sei, alles zu

unterschreiben, was ihm die Carabinieri in den Mund legten.

Daraufhin warnte ihn der Gerichtsvorsitzende, daß ihm seine Behauptung eine Verleumdungsklage eintragen könne. Stieler

blieb jedoch bei seiner Aussage und auf der Seite der italienischen Justiz blieb es bei der Drohung.

Als Stieler und seine Freunde, alle zu hohen Strafen verurteilt, sich jedoch u Weihnachten 1957 weigerten, an einem

Gefängnisempfang des Staatsanwaltes Dell’Antonio teilzunehmen, revanchierte sich die italienische Justiz auf ihre

Weise. Stieler und seine Mitangeklagten wurden sie auf verschiedene Gefängnisse in Oberitalien verteilt und in Einzelhaft

genommen.“ (Hans Karl Peterlini: a. a. O., S. 38)

Der ;sizilianische Giftzwerg; und die Folter

Im Jahr 1960 war es bereits zu versuchten Anschlägen auf Rohbauten von Wohnhäusern für italienische Zuwanderer

gekommen. Die Behörden hatten mit dem Verbot öffentlicher Veranstaltungen in Südtirol geantwortet. Was sie nicht

verbieten konnten, war der Besuch von Gottesdiensten.

Als nach der Messe an die 2.000 Kirchenbesucher aus der Bozener Pfarrkirche herausströmten, legten Nachfahren des

Freiheitskämpfers von 1809, Peter Mayr, vor dessen Denkmal einen Kranz nieder und stimmten das Andreas-Hofer-Lied

an.

Daraufhin rasten die Einsatzwägen der Carabinieri in die Menge. Die Polizisten sprangen herab und droschen unter

Sirenengeheul mit ihren schweren Knüppeln wahllos auf die Menge ein, auch auf Frauen und Kinder. Fünf Burschen, die

versucht hatten, sich gegen die Hiebe zu schützen, wurden verhaftet, zwei von ihnen in Ketten gelegt und gefesselt von

Verhör zu Verhör geschleppt. Bei der Gerichtsverhandlung am 29. Februar und 1. März 1960 bezeichnete der Staatsanwalt

Paolo Castellano die Angeklagten als „Gesindel“ und forderte das Gericht auf, ihnen „eine

Lektion“ zu erteilen und sie wegen Amtsehrenbeleidigung und Widersetzlichkeit gegen die Staatsgewalt mit

Strafen bis zu 9 Monaten Haft zu belegen. Heraus kamen in zwei Fällen immerhin bedingte Haftstrafen von bis zu 4

Monaten. Die Geprügelten waren bestraft worden, nicht die Prügler.

Der ehemalige politische Häftling Sepp Mitterhofer charakterisiert den Staatsanwalt Castellano so;…wir nannten

ihn den sizilianischen Giftzwerg. Er war von kleiner Statur, hatte Minderwertigkeitskomplexe und ging in die Höhe wie eine

Rakete, wenn wir etwas sagten, was ihm nicht passte. Von den Mißhandlungen wollte er schon gar nichts hören, da fing er

gleich an, zu toben. (Sepp Mitterhofer: ;Das Gefängnisleben als politischer Häftling im Geiste der damaligen Faschistischen Italienischen Gerichtsbarkeit in Bozen;, in: Sepp Mitterhofer so das Fazit von Torggler Siegfrieds Recherche . Eigendlich müsste dieser Faschistische Gerichts-Palast in Bozen abgerissen werden,ein Palast welcher seid Jahrzehnten durch Diktatur und Fascho nur Unheil über viele Südtiroler/innen gebracht hat,teilen indessen viele Südtiroler/innen die Meinung.